Notlagentarif

Notlagentarif

Der Notlagentarif in der privaten Krankenversicherung

Zugangsmöglichkeiten, Verfahren und Leistungsumfang

Wer kann in den Notlagentarif wechseln?

Der Notlagentarif wurde zum 01.08.2013 eingeführt, um in Fällen finanzieller Schwierigkeiten für Versicherte eine Überbrückungsmöglichkeit zu schaffen. Es gibt nach wie vor zahlreiche Personen, die hohe Beitragsschulden bei ihrer privaten Krankenversicherung haben, insbesondere diejenigen, die aufgrund der Versicherungspflicht in eine Versicherung zurückkehrten und hohe Prämienzuschläge entrichten müssen.

Verträge können nur dann in diesen Tarif umgestellt werden, nachdem zuvor ein Mahnverfahren stattgefunden hat. Wer mit zwei Monatsbeiträgen im Rückstand ist, muss zunächst eine Mahnung seiner Versicherung erhalten. Anstelle von Verzugszinsen ist ein Prämienzuschlag von einem Prozent des Rückstandes für jeden angefangenen Monat zu zahlen. Ist der Beitragsrückstand einschließlich Säumniszuschläge zwei Monate nach Zugang der Mahnung noch höher als ein Monatsbeitrag, mahnt der Versicherer erneut.

Ist der Prämienrückstand einschließlich der Säumniszuschläge einen Monat nach Zugang der zweiten Mahnung höher als ein Monatsbeitrag, wird der Vertrag ab dem ersten Tag des nachfolgenden Monats ruhend gestellt. Auf diese Folgen muss der Versicherungsnehmer in der zweiten Mahnung hingewiesen werden. Das Ruhen tritt nicht ein bzw. es endet, wenn Personen Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII beziehen.

Verträge, die ruhend gestellt sind, werden in den Notlagentarif (nach § 12h VAG) überführt. Der bisherige Vertrag ruht in dieser Zeit. Eine Umstellung in den Basistarif für den Fall, dass der Beitragsrückstand länger als ein Jahr besteht, gibt es nicht mehr. Sofern Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse vereinbart sind, entfallen diese im Notlagentarif. Auch jährliche Selbstbehalte gelten in dieser Zeit nicht.

Ist nur eine prozentuale Erstattung vorgesehen, beispielsweise bei Beamten aufgrund ihres Beihilfeanspruches, sind diese Verträge in Varianten des Notlagentarifes zu überführen. Es sind Prozentsätze von 20, 30 oder 50 Prozent vorgesehen und es gilt der Prozentsatz, der dem Grad der vereinbarten Erstattung am nächsten ist.

Niemand kann unabhängig von dem Mahnverfahren verlangen, in den Notlagentarif zu wechseln. Aus dem Notlagentarif heraus kann man auch nicht in einen anderen Tarif wechseln.

Die Versicherung muss ihre Kunden darüber informieren, dass der Vertrag nun im Notlagentarif fortgeführt wird und darüber, wie hoch sein Monatsbeitrag ausfällt.

Der Versicherer kann verlangen, dass bestehende Zusatzversicherungen bei ihm für die Ruhezeit ebenfalls ruhend gestellt werden. Dies betrifft Leistungsbereiche, die nicht dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, beispielsweise einen ergänzenden stationären Tarif hinsichtlich reiner Privatleistungen (Chefarztbehandlung und Ein- oder Zweibett-Zimmer im Krankenhaus).

Wie hoch ist der Beitrag im Notlagentarif?

Für den Notlagentarif ist eine einheitliche Prämie zu kalkulieren. Es dürfen keine höheren Prämien verlangt werden, als zur Deckung der tatsächlichen Kosten aus dem Tarif erforderlich (kostendeckende Kalkulation). Die Beitragshöhen werden seitens der Branche mit 100 € bis 125 € angegeben. Alterungsrückstellungen werden in diesem Tarif nicht gebildet.

Hinsichtlich der Prämienkalkulation wird die bisherige Alterungsrückstellung des Vertrages in der Weise angerechnet, dass bis zu 25 Prozent der monatlichen Prämie durch Entnahme aus der Alterungsrückstellung geleistet werden.

Alterungsrückstellung sind Kapitalbildungen aus den laufenden Beiträgen. Sie dienen als Rücklage für die Kosten im Alter. Ziel ist, den zukünftigen Beitrag zu stabilisieren, indem für die Deckung der im Alter statistisch höheren Kosten Kapital aus den Rückstellungen entnommen wird. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie im Notlagentarif Rückstellungen verbrauchen und diese nach Beendigung des Notlagentarifs im bisherigen Tarif wieder neu einzahlen müssen und einen entsprechend höheren Beitrag zahlen werden. Auf diese Folgen der Anrechnung der Alterungsrückstellungen muss der Versicherer in herausgehobener Form bei der Mitteilung über die Umstellung in den Notlagentarif hinweisen. Auf einer elektronischen Gesundheitskarte/Versichertenkarte kann vermerkt werden, dass der Vertrag derzeit im Notlagentarif geführt wird.

Will man später bei einer Besserung der finanziellen Verhältnisse in den Alten zurück wechseln, drohen gerade im Alter, hohe Beitragssprünge.

Wie kann man aus dem Notlagentarif wieder in seinen ursprünglichen Tarif wechseln?

Sind alle rückständigen Prämien einschließlich Säumniszuschläge und Beitreibungskosten gezahlt, wird der Vertrag ab dem ersten Tag des übernächsten Monats in dem Tarif  fortgesetzt, in dem der Versicherte vor Eintritt des Ruhens versichert war. Der Versicherungsnehmer ist vertraglich so zu stellen, wie vor dem Ruhendstellen, abgesehen von den verbrauchten Anteilen der Alterungsrückstellungen während der Ruhezeit. Wurden in dem ursprünglichen Tarif Beitragsanpassungen vorgenommen, gelten diese ab dem Tag der Fortsetzung.

Kann ein Vertrag rückwirkend in den Notlagentarif umgestellt werden?

Verträge, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 01.08.2013 wegen Beitragsrückständen ruhend gestellt wurden, können in den Notlagentarif umgestellt werden. Ist die monatliche Prämie des Notlagentarifs niedriger als die in diesem Zeitpunkt geschuldete Prämie, wird der Vertrag rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Ruhendstellung als im Notlagentarif geführt. Der bisherige Monatsbeitrag dürfte regelmäßig über dem Beitrag im Notlagentarif liegen. Durch die rückwirkende Umstellung wird in der Mehrzahl der Fälle eine deutliche Verminderung der Beitragsschulden erreicht werden.

Wird der Vertrag rückwirkend in den Notlagentarif umgestellt, erfolgt dies unter der Maßgabe, dass die zum Zeitpunkt des Ruhendstellens aus dem Vertrag erworbenen Rechte und Alterungsrückstellungen erhalten bleiben. Eine rückwirkende Anrechnung/Verbrauch der Alterungsrückstellungen findet bei der rückwirkenden Umstellung in den Notlagentarif nicht statt. In Anspruch genommene Leistungen gelten dann als solche des Notlagentarifs.

Versicherungsnehmer können der rückwirkenden Umstellung in den Notlagentarif widersprechen. Die Versicherer müssen innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes (bis zum 31.10.2013) auf die Versicherung im Notlagentarif hinweisen und hierbei den Versicherungsnehmer über sein Widerspruchsrecht unter Hinweis auf die mit der rückwirkenden Versicherung verbundenen Folgen informieren. Der Widerspruch muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Zugang des Hinweises erfolgen. Dass jemand von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, ist insbesondere denkbar, wenn er kurzfristig in der Lage ist, die rückständigen Beiträge zu entrichten und die Umstellung in den Notlagentarif verhindern möchte. In den meisten Fällen wird es für die Betroffenen jedoch empfehlenswert sein, zunächst die Umstellung in den Notlagentarif und die damit verbundene rückwirkende Beitragsreduzierung zu wählen.

Welchen Leistungsumfang sieht der Notlagentarif vor?

Der Notlagentarif enthält ausschließlich Leistungen, die zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind und einige weitere Leistungen. Dies entspricht im Wesentlichen den vorhergehenden Leistungen bei Ruhen des Vertrages. Kinder und Jugendliche erhalten weitergehende Leistungen, insbesondere Aufwendungen für Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen. Die Leistungen sind im Einzelnen in den Allgemeinen Versicherungs- und Tarifbedingungen des Notlagentarifs (AVB/NLT 2013) geregelt.

Verbraucher, die im Notlagentarif versichert sind, sollten vor Behandlungsbeginn auf ihren Versicherungsschutz im Notlagentarif hinweisen und den vom Versicherer ausgehändigten Nachweis oder gegebenenfalls eine elektronische Gesundheitskarte mit entsprechendem Vermerk vorlegen.

Die ursprüngliche Versicherungskarte des bisherigen Tarifs darf mit Beginn der Versicherung im Notlagentarif nicht mehr verwendet werden. Sie muss an das Versicherungsunternehmen zurückgegeben werden.

Der Begriff akute Erkrankung ist auslegungsbedürftig. Man bezieht sich hierbei auf eine entsprechende Regelung des Asylbewerberleistungsgesetzes (§ 4 Abs. 1 AsylbLG). Eine akute Erkrankung ist in Abgrenzung zu chronischen Krankheiten ein unvermutet auftretender, schnell und heftig verlaufender regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf. Auch die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen chronischer Erkrankung, deren Nichtbehandlung zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit zu einer akuten Erkrankung führt, ist erstattungsfähig (§ 1 Abs. 2 e) AVB/NLT 2013). Dies betrifft beispielsweise Fälle von Diabetikern, die eine Insulinbehandlung benötigen oder eine Dialyse bei Nierenversagen. Erforderlich ist jeweils eine entsprechende ärztliche/medizinische Prognose.

Schmerzzustände werden definiert als ein mit einer aktuellen oder potenziellen Gewebeschädigung verknüpfter unangenehmer Sinnes- oder Gefühlszustand. Die Behandlung von Schmerzzuständen ist erstattungsfähig, unabhängig davon, ob es sich um unvermittelt auftretende Schmerzen oder sich langsam entwickelnde, anhaltende Schmerzzustände handelt.

Ob es sich um eine akute Erkrankung oder einen Schmerzzustand handelt, bemisst sich nach den jeweiligen medizinischen Gesichtspunkten des Einzelfalles. Die Rechtsprechung hierzu ist uneinheitlich. Insbesondere bezogen auf die Merkmale „akute Erkrankung“ und „Schmerzzustände“ vertreten die Gerichte unterschiedliche Auffassungen. Beispielsweise wurden in einem Fall von Multiple Sklerose Leistungen bewilligt, da die Patientin aufgrund der Schwere der Erkrankung stets akut behandlungsbedürftig sei.

Auch bei Maßnahmen im Rahmen einer chronischen Erkrankung, die zur Linderung eines Schmerzzustandes dienen (in den Fällen betraf dies orthopädische Schuhe oder Schuheinlagen) wurde eine Erstattungsfähigkeit bejaht. Ebenso in einem Fall depressiver Leidenszustände (Psychotherapie), die in der Regel mindestens ebenso quälend und beeinträchtigend wie erhebliche körperliche Schmerzen seien und daher als Schmerzzustand zu qualifizieren seien, wurde die Erstattungsfähigkeit bestätigt. In einem anderen Fall hingegen wurde die Kostenerstattung für das Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks abgelehnt, da alternativ zur Operation die Gabe von Opiaten möglich sei. Eine Nierentransplantation wurde nicht als unaufschiebbare Behandlung bewertet. Hörgeräte seien nach einer weiteren Entscheidung nicht erstattungsfähig, da die Hörbehinderung keine akute Erkrankung darstelle.

Gegen eine Ablehnung der Kostenübernahme durch den Versicherer sollten Versicherte vorgehen und überprüfen lassen, ob eine akute Erkrankung, Schmerzzustände oder chronische Erkrankung, deren Nichtbehandlung zu einer akuten Erkrankung führen wird, im Sinne der Bedingungen des Notlagentarifs vorliegt und ob eine Vergleichbarkeit des Falles mit positiv beschiedenen Fällen in der Rechtsprechung besteht.

Welchen Leistungsanspruch haben Kinder und Jugendliche im Notlagentarif?

Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf umfangreichere Leistungen. Versicherungsfall ist bei ihnen grundsätzlich die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 AVB/NTL 2013). Hintergrund dieser Regelungen ist eine besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen. Für sie soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein erweiterter Erstattungsanspruch bestehen. Danach sind für versicherte Kinder und Jugendliche zudem insbesondere Aufwendungen für Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach gesetzlich eingeführten Programmen und für Schutzimpfungen, die die ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut gemäß § 20  Absatz 2  des  Infektionsschutzgesetzes empfiehlt, zu erstatten (G. Tarif NLT).

Weitere Leistungen des Notlagentarifs sind Hilfsmittel, Anschlussheilbehandlung, Fahrtkosten, teilstationäre und stationäre Versorgung in einem Hospiz und spezialisierte ambulante Palliativversorgung.

Text: Silke Möhring, Rechtsanwältin

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